Artikel von „Wellenschlag“ 9

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  • Der Morgenmantel berührt die Haut gleichsam zärtlich, wie der Wind durch die offenen Fenster weht um die Vorhänge zu berühren. Die weiche Wolle, lose vor dem Bauch über den überlappenden Seiten geknotet, fühlt sich hoch über baren Füßen wohlig an. Wer soll es ihm verbieten? Der Saal und alles darin gehört doch ihm. Ob Schuhwerk oder nicht, sei es darum. Bevor die Schau für die Gesellschaft beginnt, sind die Gedanken und der Leib frei und doch selten unbeschwert. Der dampfende, warme Atem des Bechers zwischen allen zehn Fingern flieht über die Schulter und touchiert die Nase, verwöhnt sie mit dem Aroma wilder Kräuter, gesammelt südlich von der Stadt auf den Steilhängen über den Kronen der Weiden. Glas kann Ton nicht ersetzen. Gabriel liebt das Morgengrauen, wenn es einen guten Tag verkündet und den großen Raum mit der höchsten Decke im Haus ganz anders erscheinen lässt, als der übrige Tag und der Abend, voller flackernder Flämmchen von Dochten in Wachs und Öl.
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  • [Lesewarnung: sexuelle Handlung]

    Die Bediensteten sind fort, zu Bett geschickt von einem jungen Mann, der manch ein Alter derer nicht zur Hälfte erreicht. Gabriel sitzt alleine auf dem Sofa, auf dem er eben schon Platz genommen hatte und lauscht dem Ticken einer Standuhr, die sich im Flur gegen die Wand zum Empfangssaal lehnt. So still ist es. Der Wein in seiner Rechten ruht, atmet den Duft der gegorenen Trauben in Konkurrenz zu den Öllämpchen und Kerzen aus. Eine davon erlischt. Es weht ein Hauch vom verbranntem Docht in den kaum spürbaren Zug. Die Fingerkuppen der Linken berühren den eigenen Oberschenkel über dem weichen Stoff des feinen Beinkleides, wo ihre Hand lag. Kleine Kreise in Gedanken darum, ob das nur ein Traum war, den er erlitt, weil er auf dem Möbel eingenickt ist. So unwirklich schön, so nährend diese Nähe, die für viele nicht der Rede Wert gewesen wäre. Aber trüge er dann nicht noch das Rüstwerk auf, wenn er sich darin gesetzt hätte um der Müdigkeit
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  • Das Knirschen der Steine unter den Stiefeln klang für Gabriel wie das Mahlen von Knochen. Ein Einblick in seine nahe Zukunft, wenn das Fleisch abfällt, weil ihn gleich der Tod ereilt. Eine Sekunde verging, in der sein Leben vor dem inneren Auge vorbei raste, wie Sand in einer Uhr deren Hals gebrochen war und die die Zeit kontrollieren konnte. Eine Sekunde, in der der große Schatten aus Mediah seine Hand fort schlug, die Krähe mit einem Schnitt aus Silberglanz eine Schmuckkette im Gesicht des Dunkelhäutigen zerschnitt, deren Glieder wie Goldfunken regneten. Eine Sekunde, in der jener, der die Zeit für ein paar Menschen anhalten konnte dem Beobachter so hart mit dem Schlangenknauf in die Magengrube Schlug, dass dieser taumelnd zur Seite fiel. Gabriel hatte im nächsten Herzschlag das Gefühl, die Klinge, die der Schatten zog hätte ihm ein paar Strähnen gekürzt. Ein sehr, sehr geringer Preis angesichts der Situation und selbst das war nur Einbildung gewesen, während er nun
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  • Eine Hose musste her. Die erste rationale Entscheidung fiel mit dem Gedanken daran, dass so manch böser Traum damit anfing, dass man keine Hose trug. Diesen Umstand galt es zu ändern, komme es was wolle. Dass der Gedanke absurd war, einen peinlichen Alptraum damit zu beenden, ihm einfach die Grundlage zu stehlen, wusste Gabriel eigentlich selbst und doch schien das in diesem weltfremden Augenblick die beste Lösung zu sein um mit dem Handeln zu beginnen oder die Absurdität zu besiegen. Zumeist fand man dann ja auch keine, weil in der Traumwelt immer das fehlte, wonach man am meisten sehnte. Das Tuch um den Leib zu trocknen war mit einem Male einerlei und die Kleider, die über dem Sattel seines Pferdes lagen das Ziel der baren Schritte über die kühlen Flusskiesel. Der junge Graf hörte den eigenen Atem vibrieren, als er apathisch vor Wirrung auf das Tier zuging, das nicht ein mal die Ohren nach ihm drehte. Nur die Spitzen des Schweifhaars und der Mähne wehten im Windhauch. Das
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  • Vor einigen Tagen.

    Der Moment, in dem das Wasser das Gesicht umspült, den Blick trübt und die Morgensonne schluckt, während es einen in seine kalten Arme schließt ist unvergleichlich. Arme, die ohne Scheu berühren, stets verlocken alles einfach los zu lassen und an manchen Tagen verführerischer streicheln, nach Regengüssen sogar ziehen und zerren. Zuerst war es unheimlich für Gabriel, sich einfach fallen zu lassen. Dann bemerkte er mit jedem weiteren Tag mehr und mehr, dass der Fluss sich mit ihm anfreundete, auch wenn er stets den einen oder anderen schroffen Felsen in der Hinterhand hatte, nur darauf lauernd, dass sich jemand zu weit treiben lässt. Und nun war es an diesem Tage die Kühle, die jedes Empfinden, das die Nacht zum Tage machte für Herzschläge nichtig scheinen ließ. Vor all den Wochen begann er damit, um für sie zum besseren Mann zu werden. Mittlerweile war es ein heiliges Morgenritual geworden. Trotz der Wachen einsam. Und diese Einsamkeit war immer in
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  • Der alte Graf Damiano Fazzini thront wieder stoisch und mit kühl arrogantem Ausdruck über den Stufen zum ersten Stock des Hauses, in dem er all die Jahrzehnte mit harter Hand regierte. Nur auf Leinwand gepinselt und doch ohne etwas von seiner dezent militanten und auf jeden Fall einprägsam beeindruckenden Aura verloren zu haben. Kunden schätzten ihn zu Lebzeiten für seine geradlinige Herangehensweise an die Geschäfte und die Liebe zu den eigenen Produkten der Gießerei. Die Kanonen allen voran. Etwas, das sein Sohn nie richtig mit ihm teilen konnte, denn Gabriel empfand außer Lärm und der Erschütterung bis ins Mark nichts, wenn die Lunte das Schwarzpulver in der Kammer erreicht hat, außer den Schrecken als Kind und das Unwohlsein um den Zweck des Ganzen bis heute. Das Bildnis seines Vater, schräg über ihm, der nebst dem Maler am Fuße der Stufen steht bringt ihm jedoch eine noch unangenehmere Gänsehaut bei, als jedes Artilleriegeschütz, das je in einen Schiffsrumpf oder
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  • "Du schlägst noch gegen die Bordwand, weg vom Schiff! Welleee!" Rawson kommt gar nicht erst dazu, auf die zugerufene Warnung der Shai von oben zu reagieren. Der Spross des Kapitäns versucht das schäumende Nass zu durchblicken. Er hat Remingtons Augen, sagte seine Mutter stets. Elion habe sie selig. Das Meerwasser schlägt dem Welpen des Seewolfes wie aus Eimern ins Gesicht. Dann, mit einem dumpfen Pochen der Eimer selbst. Rawson wird für einen Herzschlag lang schwarz vor Augen. Unter ihm nur Wasser und lange nichts. Dann schroffer Fels. Der Schwimmende schnappt nach Luft und atmet schwer ein. Salz brennt in der Lunge. Und als Rawson wieder etwas sehen kann, ruft er Pearl entgegen, "Au! Was sollte das denn?!" "Treibgut!" lautete ihre logische Antwort kurz vor dem nächsten "Welle!" Und wieder schluckt Rawson Meerwasser. Rico, der haarigste Seemann der Mannschaft fischt den Eimer an Bord der Flunder. Ein kleines Ruderboot von Remingtons Schiff, das Pearl unbedingt taufen wollte. Sie
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  • Die Nacht war mit der sterbenden Winterkälte eingefallen und tauchte Calpheon in die von warmen Flackerlichtern unterbrochene Finsternis. Eben noch warm umhüllt von Stimmen, von lachenden Wohlhabenden, die ihr Leben und sich selbst zelebrierten, nun allein auf einer kleinen Mauer mit den Beinen baumelnd über dem rauschenden Fluss, der von Süden her Wasser in den Balenos Zufluss schickt. Die Kälte des Stromes zieht über Moos und Mauerwerk bis ins Mark. Oder ist es doch die innere Kühle, die Gabriel in die Glieder gefahren ist und die auf eine falsche Weise das Herz umklammert, ohne das Blut in den Adern gefrieren zu lassen. Noch immer kneift er das Monokel wider der sowieso mangelnden Sicht zwischen Braue und Wange und starrt an die gegenüber wiegende Wasserkante. Jede kleine Welle schäumt, leckt am Gestein und hat im Gegensatz zu ihm scheinbar ewig den Elan einer aussichtslosen Aufgabe zu folgen. Denn ehe die Mauer bricht, wird jemand neue Findlinge zurecht schlagen und die
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  • Silber glänzt wie Gold im Schein der Kerzenleuchter. Ein Grundsatz, der Tür und Tor öffnet, fährt es dem Erbgrafen in den Sinn. Der Weg zum Gemach, in dem sein Vater liegt wird mit jedem Tage länger und heute hat er dem Bediensteten das Tablett mit der Medizin aus der Hand genommen um sie dem alten Herren selbst zu verabreichen. Der dunkle Tintenfleck aus Vaters Feder, der die Schlieren und Schatten auf Gabriels Seele nachtblau färbte, ist der Schild für die Stimme, die sich gerade ein mal mehr wünscht, er wäre an diesem Abend nicht mehr in der Lage die Medizin zu schlucken. Heute hat diese Gestalt hinter dem Flecken Nacht, die böse flüstert einen wärmenden Ton der Hoffnung im Laut, es hätte sogar einen Sinn. Gabriel öffnet die Tür behutsam. Nur ein leises Knarren begleitet die Drehung im Scharnier und endet mit der Erkenntnis, dass der Graf aufrecht gegen das Kopfende des Bettes gelehnt aus dem Fenster sieht und die Lichter der Stadt vor fallenden Flocken beobachtet.
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